Mittwoch, 21. Januar 2015

Tomtom Kaptan Sok. 15

Anna

Anna Grosser-Rilke, Anna (Maria Augusta), geb. Rilke, verh. Treuenfels (*1853 in Melnik-Tschechien, 1937/38, Ort unbekannt), Pianistin, Klavierlehrerin und Journalistin. Sie war zwar verwandt mit dem Dichter Rainer Maria Rilke, hat ihn möglicherweise selten oder gar nicht getroffen.

Als junges, begnadetes Talent absolvierte Anna 1870 das Leipziger Konservatorium. Sie wurde vertraut mit Mozart, Schumann, Schubert, Bach und Mendelssohn. Ihre Chopin’sche Musik wurde sogar mit den Worten „duftig poetisch, von so noblem, warmem und feinfühligem Anschlage bei zugleich energisch sonorer Kraft und schwungvoller Behandlung“ bewertet. Den Sommer 1874 verbrachte die Pianistin bei Liszt in Weimar. Diese Zeit nennt sie einen Höhepunkt in ihrem Leben.
 
Mit 25 Jahren heiratete Anna Rilke den deutsch-jüdischen Maler Moritz Treuenfels, der 3 Jahre später starb. Anna zog nach Berlin und trat hier weiterhin glanzvoll auf. Sie hat auch viele Auslandsauftritte gehabt. Einen weiteren Höhepunkt in ihrer Karriere bildete sicherlich ihre Ernennung zur Hofpianistin durch den König Leopold II. von Belgien 1884. 
In zweiter Ehe war sie getraut mit dem Journalisten und Schriftsteller Julius Grosser, den sie in ihrer Berliner Zeit kennenlernte. Er war zunächst Korrespondent des „New York Herald“, trat dann eine ständige Korrespondentenstelle in Konstantinopel für die “Kölnische Zeitung” an. So zog das Paar Grosser mit Sohn Günther 1888 nach Istanbul. Sie mieteten sich in diesem roten Haus ein.
 
Ihr Leben „unter diesem orientalischen Himmel“ war nicht mehr das alte vertraute. Sie hatte zwar Auftritte, sie gab Klavierunterricht, doch war ihr Hauptbewunderer fast nur ihr Ehemann Julius. Nach einem Konzert berichtet sie: „Ich habe an diesem Abend wirklich gut gespielt, nicht alle konnten der ihnen nicht sehr geläufigen Musik folgen, leichte italienische Opernarien hätten mehr Verständnis gefunden; aber das war mir gleichgültig, ich war in meinem Element und wollte den Leuten einmal echte gute deutsche Kunst bieten.”

Unter ihren Hörern befand sich auch Sultan Abdulhamid II. (1842-1918), dessen Sohn, Prinz Mehmet Burhanettin Efendi (1885-1949), ihr Klavierschüler war. Aber auch eine junge Frau, Latife Uşşaki (1898-1975) hat bei ihr Klavier spielen gelernt. Diese Mademoiselle wird später Ehefrau des Republikvaters Mustafa Kemal Atatürk, wenn auch nur für eine kurze Dauer (1923-1925).
 
 

 
Nach dem Tode des Ehemannes Grosser (1895), des Korrespondenten, hat Anna die von ihm gegründete deutsche Nachrichtenagentur fortgeführt. Böse Zungen meinen, der Sultan hätte ihr zu der Zeit sogar Spionagetätigkeit angeboten, hinter vorgehaltener Hand natürlich. Immerhin, Agent und Agentur liegen nahe.
 
Als Musikerin gründete sie in Istanbul ein Streichquartett,
mit dem sie gemeinsam regelmäßig auftrat, und übernahm 1906 die Leitung der Musikabteilung des amerikanischen Robert College in Istanbul.
 
1918, nach dem gemeinsam verlorenen Krieg wurden alle deutschen Staatsangehörigen des Landes verwiesen. Anna kehrte zurück. Mit 30 Jahren Istanbul-Erfahrung im Koffer.
Als 1937 ihre Memoiren erschienen, war sie 84 Jahre alt. Kurz darauf starb sie. Wo sie starb, ist ungewiss. Anna hat nicht nur viel mitgenommen, sie hat auch viel da gelassen.

Ich höre noch immer ihre Klavierklänge, wenn ich an diesem Haus vorbeigehe.
 
 


 
 

 
 

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