Montag, 26. Januar 2015

Verbindungsstelle der Bundesanstalt für Arbeit

Zum unbekannten Gastarbeiter

In diesem unscheinbaren Amtsgebäude hat alles angefangen. Die Arbeitsmigration der Türken nach Deutschland vor über einem halben Jahrhundert. Ist es Schicksal, dass das Haus heute mit EU-Mitteln erneuert/saniert wurde?

Der Krieg war vorbei. Deutschland musste sich wieder herstellen, wie Phönix aus der Asche. Es fehlten in vielen Bereichen die Arbeitskräfte, vor allem in den einfacheren Ebenen. Männer der Geburtenjahrgänge 1920-25 waren meistens im Krieg gefallen, die älteren waren zu alt oder Invalide. Man brauchte für niedere Arbeiten Menschen, die ebenso dankbar dafür wären, dass sie diese Arbeit für einen Niedriglohn leisten durften.

Am 30.10.1961 wurde das Anwerbeabkommen zwischen der BRD und der Türkei unterzeichnet. In Bonn waren Ludwig Erhard Wirtschaftsminister und Theodor Blank der Minister für Arbeit. Wir schreiben die Ära der III. und IV. Adenauer-Regierungen.
Die damalige türkische Regierung konnte aufatmen. Es gab keine großartige Industrie hier im Lande. Und die Fremdarbeiter könnten ja auch Devisen in die Staatskasse einbringen. Es sah aus wie eine Win-Win-Situation.
Arbeitgeber des produzierenden Gewerbes in der BRD, organisiert in der BDI, meldeten ihren Arbeiterbedarf als „Anforderungen“ über eine deutsche Verbindungsstelle in Istanbul an die Auslandsabteilung der türkischen Anstalt für Arbeit İİBK (İş ve İşçi Bulma Kurumu, heute İşkur), die ihrerseits wiederum eine vorselektierte Auswahl an Arbeitern an die deutsche Verbindungsstelle zur weiteren Prüfung entsandte.
Bewerber unterlagen bei ihrer Registrierung, wenn nicht ein offensichtlich schlechter Gesundheitszustand sie schon von vornherein von der Vermittlung ausschloss, bestimmten Altersgrenzen. Qualifizierte Kräfte durften höchstens 40 Jahre alt sein, Frauen 45, Bergmänner 35. Für unqualifizierte Kräfte war das 30. Lebensjahr die Grenze. Insgesamt bewarben sich so zwischen 1961 und 1973 über 2,6 Millionen Menschen um einen Arbeitsplatz in der BRD. Wer von der İİBK für die Vorstellung bei der deutschen Verbindungsstelle in Istanbul ausgewählt worden war, musste dort noch zwei Abteilungen und fünfzehn Prüfungen der deutschen Behörde durchlaufen. Nach dem erfolgreichen Absolvieren der ersten Verbindungsstellenabteilung folgte eine umfangreiche Gesundheitsprüfung.
Ich kann mich an das Bild der frisch rasierten, gut gekleideten, jungen, anatolischen Männer erinnern, wie sie in dem benachbarten Park genächtigt haben. Voller Aufregung und auf ihren Holzkoffern hockend. Im Morgengrauen machten sie sich zu Fuß auf den Weg über die Galata-Brücke zum Bahnhof Sirkeci, um dort den Sonderzug nach dem viel gepriesene "Almanya" zu nehmen.

Keiner wusste, was daraus wird.


Am Anfang waren es junge, ledige Kerle, die in werkseigenen Heimen in Etagenbetten schliefen und sich in Gemeinschaftsbädern wuschen. Sie sollten ja nur provisorisch für zwei Jahre dort leben. Dann sollten andere sie ablösen. Das Rotationsprinzip ging eine Zeit lang gut, bis sich der BDI gemeldet hat: "Das ist nicht lukrativ!"
Also holte man sie für eine längere Dauer. Dann folgten die Familien.

1973 war die Ölkrise, Helmut Schmidt verordnete den Anwerbestopp. Die WDR veranstaltete im selben Jahr ein Preisausschreiben, um einen Begriff für diese Menschen zu finden, da ja alles, was existiert, auch einen Namen haben muss. - Unter den Einsendungen war "Gastarbeiter" der Gewinner, eine Wortschöpfung, die im Fach Soziologie in alle Weltsprachen einging.




1973 herrschte in der Türkei ein kurzer - und einziger - linksliberaler Wind. Dieser Park bekam ein Denkmal: "Der Arbeiter", ein Werk des Bildhauers Muzaffer Ertoran (1922-2000). Die Plastik war natürlich dem Geiste des Kalten Krieges entsprechend pathetisch und ganz im Sinne des sozialistischen Realismus. Kunst ist Kunst. Aber öffentliche Kunst war in der Türkei schon immer schwierig. Der bigotte Vandalismus wütete auch in diesem Park. "Der Arbeiter" wurde Stück für Stück verstümmelt.

Doch, dafür gibt es ein Denkmal des unbekannten Gastarbeiters: dieses unscheinbare Gebäude des türkischen Arbeitsamtes...

Sonntag, 25. Januar 2015

Tomtom Kaptan

Ein Navigationsgenie oder ein Trommler?

Geht man nun auf die Hauptachse dieses Stadtteils, auf die Boğazkesen Caddesi, sieht man rechts ein lachsfarbenes Eckhaus, dessen Geschichte es noch zu erforschen gilt.

Schräg gegenüber ist die Mündung der Çukurcuma-Gasse, mit dem Museum der Unschuld von Orhan Pamuk, dem zeitgenössischen, nobelpreisgekrönten Schriftsteller.


Schaut man nach links, sieht man eine kleine unscheinbare Moschee, die in allen Quellen ziemlich genau auf 1592 datiert wird. Die Moschee des Tomtom-Kaptan. Ein Kapitän, der gleich so heißt, lässt auf besondere Navigationskenntnisse eines türkischen Seemannes zurückführen, seitdem man die GPS-Geräte im Auto hat. So ist es aber sicher nicht.


Daß die Türken kein großes Seevolk sind, ist wohl bekannt. Fast alle führenden Seemänner in der Geschichte des Osmanischen Reiches waren Konvertierte, wie Kılıç Aslan, Barbaros Hayreddin oder Turgut. Es war schick und populistisch, wenn ein Konvertierter eine Moschee stiftete.
In dem Käpt'n Tomtom wird ein Ex-Grieche vermutet. Ich vermute weiter: ein Grieche mit einem "unaussprechlichen" Namen wie Timotheus, Theotimos oder Thiodem!

Die Moschee soll auch einen Imam Abdullah gehabt haben, der musikalisch versiert war und gerne auf seiner Tomtom trommelte. So wollen es andere wissen.

Lärm gibt's hier genug. Auf etwas mehr Lärm kommt es nicht an!



Private Stadtführungen mit Cicerone







Samstag, 24. Januar 2015

Little Italy

Palazzo di Venezia

Dort, wo die italienische Flagge nicht zu übersehen ist, ist auch der venezianische Palast, ein Gebäudekomplex aus dem ausklingenden 17. Jahrhundert, natürlich mehrfach aus- und umgebaut. Warum denn gerade Venedig? Ganz einfach: Es gab doch noch gar kein Italien. Es gab nur die mittelalterlichen Stadtstaaten (ab 695 n. Chr. entsteht z. B. der Staat Venedig, neben Genua), die in der Neuzeit durch die Herzogtümer abgewechselt waren.

Der Überseehandel erforderte kommerzielle und somit politische Vertretungen. Die Idee der ständigen Vertretungen gegenseitig entstand aus diesen Import-/Exportbeziehungen heraus.

Und Venedig hatte hier seinen Bailo, wie der venezianische Gesandte damals hieß. Venezianer hatten weiterhin ihre Sonderrechte, die sie schon im Byzantinischen Reich erhielten. Nach wie vor.
Heute verbergen sich hinter dem Gitter die Residenz des italienischen Botschafters und die Kanzlei des italienischen Konsulates.

Nach Naopleons Sieg über Venedig ging das Anwesen an die Franzosen über. Und als die Österreicher Napoleon platt gemacht hatten, wurde es Eigentum der K.u.K.-Monarchie. Den Ersten Weltkrieg haben Österreich, Deutschland und das Osmanische Reich als Verbündete verloren. Also mussten die Österreicher räumen. Trotz Einwände der Franzosen haben de Italiener das Haus zurückbekommen.

Cäsar geben, was Cäsar gehört!

Etwas weiter unten ist das italienische Gymnasium Liceo Italiano zu sehen, eine Eliteschule wie alle anderen fremdsprachigen Schulen in Istanbul auch. Dass diese Schulen einst sowohl für die eigenen Kinder, als auch als Missionsschulen für die Einheimischen gedacht waren, liegt doch auf der Hand. Man schaue sich nur die örtliche Nähe dieser Institutionen an.

Bekannt ist aber auch, dass die Venezianer überall auch Schulen eröffnet haben, die ihren eigenen Kindern die jeweilige Landessprache beigebracht haben.

Gegenüber steht das Haus Tomtom-Suites, eine der schönsten Wohnmöglichkeiten in Istanbul.

In den 1850ern standen hier hölzerne Reihenhäuser, hauptsächlich bewohnt von Griechen und Levantinern. (Der Begriff "Levantiner" ist ein Kapitel für sich.)

Das kleine Haus nach dem Tomtom-Hotel war höchstwahrscheinlich das von mir viel gesuchte französische Postamt. Man vermutet es zwar weiter oben an der Postacılar-Gasse, weil die Straße ja hier unten anders heißt. Doch die Nähe zur französischen Botschaft ist auch Indiz genug. Möglicherweise kam die Post hier zentral an. Von hier aus sind dann die Postboten auf die Grand Rue de Pera hinaufgeflitzt. Nette Vorstellung. Die müssen ja alles junge Kerle gewesen sein.
Als die ersten Franziskanernonnen in den 1890ern in Istanbul ankamen, wohnten sie möglicherweise in dieser Gegend zuerst in Provisorien, bis der italienische Architeckt Barborini für sie 1901 die Maison des Soeurs Franciscaines, also das Nonnenhaus gebaut hat. Bei den Franziskanerinnen handelte es sich um Krankenschwestern und -pflegerinnen, daher hieß das Haus auch Soeurs Garde-Malades Appartment. Doch so einfach ist die Geschichte nicht. Als Eigentümer tauchen die Glavanis auf. Handelte es sich etwa um Mietwohnungen?

Die selbstlos hilfsbereiten Schwestern kümmerten sich auch um Weisenkinder und um deren Schulbildung. Vor dem 1. Weltkrieg mögen die Franziskanerinnen hier eine St.-Joseph-Schule betrieben haben. Doch hier herrscht noch keine Klarheit, obwohl an einem Haus an der Boğazkesen-Str. Das Schild eines "Orphelinats" eindeutig zu sehen ist.

Die Jahre nach dem "Großen Krieg" war die sonst so kosmopolitisch belebte Gegend fast verlassen und heruntergekommen. Das Haus Tomtom-Suites war bis zur Übernahme des jetzigen Eigentümers ein Archivhaus der Ziraat Bank, der türkischen Raiffeisenbank. Die benachbarten Häuser haben mittlerweile auch Investoren gefunden. So wurden sie zum Leben erweckt.

Die französische Botschaft oben hat viele Ein- und Ausgänge. Aber diesen Platz und diese Straße beherrschen die Italiener eindeutig.

Im Buch: Ort 69
Kein Wunder, daß Casanova sich hier wohlfühlte.








Private Stadtführungen mit Cicerone







Freitag, 23. Januar 2015

Tomtom-Kaptan-Sok. 22

3G auf Französisch

Wir schreiten die Tomtom weiter hinunter. Links und rechts haben wir nur noch Mauern. Dann kommt eine steile, unsichere Treppe. Ist man einmal unten angekommen, fühlt man sich auf einmal in einer anderen Welt. Das hier nenne ich Little-Italy.
Wir drehen uns um und sehen das 3-G-Haus:
Gesetze – Gerechtigkeit – Gewalt.
Das französische Konsulartribunal. Das Gericht!
 
Der Eingang an der Sackgasse Çiçekçi Çıkmazı, direkt am immer verschlossenen Tor der Französischen Botschaft, ist möglicherweise für die "Lieferungen" gedacht gewesen.

 
Hier wurden französische Bürger nach ihrem Rechtssystem „gerichtet“. Eine Botschaft, eine Kirche, eine Schule, ein Gericht und höchstwahrscheinlich auch einen Kerker dazu. Ein Krankenhaus hatten sie ja schon. Komplett.
Das Tribunal ist 1844 gebaut. Architekt ist der Franzose Laurecisque. Die angebrachten Wappen an der Front geben Aufschluss über die Fachgebiete des Gerichtes, überwiegend Handelsrecht und Seerecht.
Heute wird das Haus als Schule für Kinder der französischen Expats benutzt. Sie hieß bis vor einigen Jahren “Papillon”, heute läuft die Schule unter dem Namen des Romanciers “Pierre Loti”, eine Art Botschaftsschule.
 
 








 

Private Stadtführungen mit Cicerone

 
 
 
 
 

Mittwoch, 21. Januar 2015

Tomtom Kaptan Sok. 15

Anna

Anna Grosser-Rilke, Anna (Maria Augusta), geb. Rilke, verh. Treuenfels (*1853 in Melnik-Tschechien, 1937/38, Ort unbekannt), Pianistin, Klavierlehrerin und Journalistin. Sie war zwar verwandt mit dem Dichter Rainer Maria Rilke, hat ihn möglicherweise selten oder gar nicht getroffen.

Als junges, begnadetes Talent absolvierte Anna 1870 das Leipziger Konservatorium. Sie wurde vertraut mit Mozart, Schumann, Schubert, Bach und Mendelssohn. Ihre Chopin’sche Musik wurde sogar mit den Worten „duftig poetisch, von so noblem, warmem und feinfühligem Anschlage bei zugleich energisch sonorer Kraft und schwungvoller Behandlung“ bewertet. Den Sommer 1874 verbrachte die Pianistin bei Liszt in Weimar. Diese Zeit nennt sie einen Höhepunkt in ihrem Leben.
 
Mit 25 Jahren heiratete Anna Rilke den deutsch-jüdischen Maler Moritz Treuenfels, der 3 Jahre später starb. Anna zog nach Berlin und trat hier weiterhin glanzvoll auf. Sie hat auch viele Auslandsauftritte gehabt. Einen weiteren Höhepunkt in ihrer Karriere bildete sicherlich ihre Ernennung zur Hofpianistin durch den König Leopold II. von Belgien 1884. 
In zweiter Ehe war sie getraut mit dem Journalisten und Schriftsteller Julius Grosser, den sie in ihrer Berliner Zeit kennenlernte. Er war zunächst Korrespondent des „New York Herald“, trat dann eine ständige Korrespondentenstelle in Konstantinopel für die “Kölnische Zeitung” an. So zog das Paar Grosser mit Sohn Günther 1888 nach Istanbul. Sie mieteten sich in diesem roten Haus ein.
 
Ihr Leben „unter diesem orientalischen Himmel“ war nicht mehr das alte vertraute. Sie hatte zwar Auftritte, sie gab Klavierunterricht, doch war ihr Hauptbewunderer fast nur ihr Ehemann Julius. Nach einem Konzert berichtet sie: „Ich habe an diesem Abend wirklich gut gespielt, nicht alle konnten der ihnen nicht sehr geläufigen Musik folgen, leichte italienische Opernarien hätten mehr Verständnis gefunden; aber das war mir gleichgültig, ich war in meinem Element und wollte den Leuten einmal echte gute deutsche Kunst bieten.”

Unter ihren Hörern befand sich auch Sultan Abdulhamid II. (1842-1918), dessen Sohn, Prinz Mehmet Burhanettin Efendi (1885-1949), ihr Klavierschüler war. Aber auch eine junge Frau, Latife Uşşaki (1898-1975) hat bei ihr Klavier spielen gelernt. Diese Mademoiselle wird später Ehefrau des Republikvaters Mustafa Kemal Atatürk, wenn auch nur für eine kurze Dauer (1923-1925).
 
 

 
Nach dem Tode des Ehemannes Grosser (1895), des Korrespondenten, hat Anna die von ihm gegründete deutsche Nachrichtenagentur fortgeführt. Böse Zungen meinen, der Sultan hätte ihr zu der Zeit sogar Spionagetätigkeit angeboten, hinter vorgehaltener Hand natürlich. Immerhin, Agent und Agentur liegen nahe.
 
Als Musikerin gründete sie in Istanbul ein Streichquartett,
mit dem sie gemeinsam regelmäßig auftrat, und übernahm 1906 die Leitung der Musikabteilung des amerikanischen Robert College in Istanbul.
 
1918, nach dem gemeinsam verlorenen Krieg wurden alle deutschen Staatsangehörigen des Landes verwiesen. Anna kehrte zurück. Mit 30 Jahren Istanbul-Erfahrung im Koffer.
Als 1937 ihre Memoiren erschienen, war sie 84 Jahre alt. Kurz darauf starb sie. Wo sie starb, ist ungewiss. Anna hat nicht nur viel mitgenommen, sie hat auch viel da gelassen.

Ich höre noch immer ihre Klavierklänge, wenn ich an diesem Haus vorbeigehe.
 
 


 
 

 
 

Private Stadtführungen mit Cicerone

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Montag, 19. Januar 2015

Postacılar Sok. 8

Heilige spanische Erde

Nach dem ersten Knick nach rechts haben wir nun an der rechten Ecke und in der Fortsetzung weiterhin eine spanische Liegenschaft mit ehemaligem Kulturzentrum.

Und gegenüber? Eine hohe alte Mauer mit einem verschlossenen eisernen Tor. "Capella et Hospitium Terra Sanctae" liest man auf dem bescheidenen Schild darüber. Also eine Kapelle und ein Hospiz verbergen sich dahinter,


die so schön "Heilige Erde" heißen. Ebenso spanische Erde.



Von spanischen Franziskaner-Observanten gegründet, steht hier "die Kapelle der Maria als Schmerzensmutter" seit 1871. Das Territorium ist nicht mehr diplomatische Vertretung.

Blickt man von dort nach links unten, fühlt man sich nicht mehr wie in Istanbul. Links ist das Honorarkonsulat von Ecuador, einem mir sehr sympathischen Land, obwohl ich nicht dort gewesen bin.

Ab hier heißt die Strasse ja auch nicht mehr "Postacılar" sondern "Tomtom Kaptan". Also muß das französische Postamt hier irgendwo gewesen sein, zwischen der Hauptstraße İstiklal und hier. Oder?


Rechts sieht man ein verlassenes rotes Haus mit einem
Erker. Das Haus hat Eingangsstufen. Auch dieses gehörte dem spanischen Komplex. Hier hat eine Klaviervirtuosin gelebt, eine großartige starke Frau, die sowohl einen der letzten Prinzen des osmanischen Herrscherhauses, als auch ein junges Fräulein Latife unterrichtet hat. Latife wird später Ehefrau des Republikvaters Atatürk.

Doch, wer war diese Klavierkünstlerin?




Private Stadtführungen mit Cicerone







Samstag, 17. Januar 2015

Postacılar Sok. 11

Casanovas verschwitzte Nächte im Bett

Das Nebenhaus zu Glavani, das Eckhaus, muß für den italienischen Schürzenjäger Casanova eine Zeit lang (1742) als Herberge gedient haben. Darüber sind sich viele Stadtforscher einig.


Giacomo Girolamo Casanova (* 2. April 1725 in Venedig; † 4. Juni 1798 auf Schloss Duchcov (Dux) im Königreich Böhmen) war ein venezianischer Schriftsteller und Abenteurer des 18. Jahrhunderts. Nach Aufgabe der kirchlichen Laufbahn reiste er 1742 über Korfu nach Konstantinopel, wo er Claude Alexandre de Bonneval traf, den Artilleriechef. Wollte Casanova etwa Kanonen schießen lernen?

Claude Alexandre, Comte de Bonneval, auch als Humbaracı Ahmet Paşa bekannt, (* 14. Juli 1675; † 23. März 1747 in Konstantinopel) war ein französischer Adliger, Soldat und Abenteurer, ein konvertierter Franzose, der im Osmanischen Reich Chef der Artillerie wurde.
Von Tünel Richtung Taksim gehend, die vorherige steile Straße vor der Postacılar heisst "Kumbaracı Yokuşu", eine Verformung von Humbaracı, dem Titel des Frankotürken Bonneval (Humbara=Kanone). Er wohnte nämlich an dieser Straße. Der Graf hatte die erste Ingenieurschule im Osmanischen Reich gegründet (in Hasköy, am Goldenen Horn) und war eng befreundet mit İbrahim Müteferrika, dem Importeur der Buchdruckmaschine in die damalige Türkei. Sein Grab ist im Hof des Derwisch-Konvents von Galata (Galipdede Cad.).

Die venezianischen Gesandten trugen den Titel "Bailo". Daraus haben die Türken "Balyos" gemacht. Die enge Gasse genau entgegengesetzt zu Postacılar, auf der anderen Seite der İstiklal heißt heute "Balyoz".

Der damalige Bailo muss dem Casanova geraten haben, nie ohne Begleitung eines türkischen Janitscharen auszugehen. Das ist doch Grund genug für viel Spekulation über einen möglichen Seitenwechsel des Frauenhelden, wie die Türken das heute noch gern erzählen. Das tut der maskulinen Seele der Orientalen gut.

Welch weite Welten sich in dieser engen Gasse treffen!





Private Stadtführungen mit Cicerone








Postacılar Sok. 9

Glavanis - Genuesiche Banker am Goldenen Horn

Die Glavanis sind eine der wichtigsten Familien in Istanbul des 18. Jahrhunderts. Um 1150 wanderten die Glavanis von Genua nach Chios und von dort nach Istanbul, im Laufe der Jahrhunderte. Wie die meisten Genuesen wurde die Familie sehr vermögend durch Geschäfte im Bankenwesen und durch den Handel. Sie besaßen auch ein Kanzlei- und Bankierhaus Glavani an der Voyvoda-Str. (Bankalar Cad.), was später Ottoman Bank wurde.

Ein herrliches Wohnhaus hatte einer der Glavanis an der Meşrutiyet-Str. bauen lassen. Die enge Gasse zwischen seinem Haus und Grand Rue de Pera (heute İstiklal-Str.) wurde auch nach ihm benannt: Glavani-Str., aus Glavani wurde allerdings Kallavi, wie die Gasse heute heißt.
Und das Haus? Heute ist es Grand Hôtel de Londres (Büyük Londra Oteli), Lieblingshotel von Fatih Akın in Istanbul.

Wo mag wohl noch ein Glavani auf der Welt leben?






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Freitag, 16. Januar 2015

Postacılar Sok. 7


Die Kirche im Staat - Laizistische Franzosen beten in Istanbul katholisch

Geht man einige wenige Schritte weiter bergab, sieht man links eine uninteressante gelbliche Wand mit einem bescheidenen Schild: „St. Louis”.

Dahinter verbirgt sich die französische Ludwigskirche, die erste katholische im Istanbuler Pera/Galata.
Der Bau stammt aus dem 17. Jahrhundert und ist natürlich normalerweise vom üppigen Garten des „Palais de France“ aus zu betreten, befindet sich also im Staatsterritorium der République Française. Das hier sieht eher aus wie ein Lieferanteneingang.

Es ist ziemlich verwirrend in dieser Ecke. Man sieht, wie eng aneinander die alten Gesandtschaften gebaut waren, so dass sie ein „Ghetto“ bildeten - sehr verständlich eigentlich.

Die Kirche ist wider Erwarten nicht einem Kirchenmann Ludwig, z. B. dem Bischof von Toulouse geweiht, sondern einem Staatsmann Ludwig IX. Der „Heilige Ludwig“ war einer der wichtigen Monarchen des Mittelalters in Europa und hatte sogar zwei Kreuzzüge geleitet. In Frankreich erinnert man sich an seine Epoche als eine Art „Goldenes Zeitalter“ le siècle d’or de St. Louis.
Die St.-Louis-Kirche bekam den Titel einer „Ministerialkirche“. Daher sind die meisten französischen Botschafter an der „Hohen Pforte“, und sonstige Eminenz hier bestattet.
Übrigens, sie ist die einzige chaldäische Kirche der Stadt.
Chaldäisch?


https://de.wikipedia.org/wiki/Chald%C3%A4isch-katholische_Kirche






Private Stadtführungen mit Cicerone









 

Postacılar Sok. 4

Santa Maria Han - Kirche als Vermieter

Ich setze meinen Spaziergang durch die Postacılar-Gasse fort:
Gegenüber der Visaabteilung des holländischen Konsulates, bzw. dem Eingang in die Unionskirche links sehen wir rechts eine Art Hofeingeng, ein schwarzes Eisentor mit einem Kreuz oben. Das ist der Seiteneingang des "Han" der Santa-Maria Kirche. Sie liegt an der İstiklal-Str. und ist Gegenstand einer anderen Post in meinem Blog. Das Haus nebenan heißt ja auch "Santa Maria Apartmanı". Also alles im Besitz der katholischen Kirche, gegenüber der protestantischen Kirche.
Schreitet man etwas weiter hinunter (Nr. 6), ist das benachbarte Eckhaus rechts schon im spanischen Besitz. Hier ist eine private Tanzschule, die vor allem Flamenco-Kurse veranstaltet. Das ist wie ein Relikt aus der Zeit, als die spanische Botschaft hier war. Ich mag mich vage an ein spanisches Kulturzentrum hier in der Gegend erinnern.




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Dienstag, 6. Januar 2015

Cicerone Monatsprogramm: Januar

Der Patriarch, das Kruzifix und die hartgesottenen Jungs:
Theophanie, Epiphanie -
Erscheinung Gottes am 6. Januar 

Die orthodoxe Kirche feiert die Taufe Christi im Fluss Jordan ganz besonders üppig. An diesem Tag findet auch die große Wasserweihe statt. Durch die Kalenderreform von 1582 wurden die Feste von orthodoxer und katholischer Kirche gegeneinander verschoben. Mit "Erscheinung" ist die menschliche Gegenwart Gottes in der Person Jesu Christi gemeint.
Nach der langen Liturgie findet eine Prozession zu einem nahegelegenen Gewässer statt. In diesem Fall ist es das eiskalte Goldene Horn bei Schneewetter. Der Patriarch wirft ein Kruzifix ins Wasser, und hartgesottene junge Männer fischen das Kreuz heraus.
Ein Spektakel, das nur einmal im Jahr stattfindet. Verbunden haben wir damit unsere schöne Tour durch die uralten Stadtteile Fener und Balat trotz kalten Wetters verwirklicht.
Die Krönung war das Essen und Trinken in den Agoras!


 
 
Im Buch: Ort 34
 
 

Private Stadtführungen mit Cicerone

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Freitag, 2. Januar 2015

Postacılar Sok. 3-5

Dutch Chapel - Ein Patriarch mußte sterben!

Das Osmanische Reich nahm mit Holland die ersten diplomatischen Beziehungen 1612 auf. Im Gelände der Gesandtschaft entstand natürlich auch eine Kapelle für die in Istanbul sesshaften Vertreter des Tulpenvolkes.
Tulpen? Ach, das ist ja wieder ein anderes Kapitel.
Nach einem Brand 1831 wurde die Kapelle erneuert. Heute treffen sich hier englisch sprechende Christen der Unionskirche, der "Union Church".
Die Kellergeschosse der Kirche, dienten früher als Gefängnis.
Eine schillernde Figur, der sechsfache Patriarch von Konstantinopel Kyrillos Loukaris, (geb. 1572 in Heraklion), griechischer Theologe, muss hier unbedingt erwähnt werden.
Loukaris, der sogar auch mal das Amt des Patriarchen von Alexandrien inne hatte, schloss sich nämlich der Reformationsbewegung an. Er war öfter hier zu Besuch und hat mit holländischen Theologen diskutiert. Loukaris suchte die Unterstützung der Protestanten und ließ seine Confessio Fidei Orthodoxae 1629 in Genf erscheinen. Er kritisierte darin die orthodoxe Kirche und vor allem deren Bilderverehrung und die Fürbittegottesdienste für die Toten.

Da der Calvinismus im Osmanischen Reich bedeutungslos war, hatte er auch nichts zu befürchten. Sein Wiedersacher, Kyrillos Kontares, der vom Jesuitenkolleg Galata stammte, sicherte sich hingegen die Unterstützung ausgerechnet der katholischen Kirche, die durchaus bestrebt war, in Konstantinopel Fuß zu fassen. Sein Gegenspieler und Nachfolger Kontares ließ ihn am 24. September 1638 zum Ketzer erklären. Auswirkungen hatten seine Schriften auf das westliche Zarenreich (heutiges Polen, Ukraine, Rumänien), wo der Calvinismus auf fruchtbaren Boden stieß. Papst Urban nannte ihn „Sohn der Dunkelheit, Höllenreiter“.

Selten waren Orthodoxe und Katholiken sich so einig.
Die Entledigungsmethode war äußerst "byzantinisch": In Sultanskreisen verbreitete man das Gerücht, Patriarch Loukaris sei ein Russenspion. Sultan Murat IV. ließ ihn am 27. Juni 1638 auf einem Schiff von Janitscharen auf dem Bosporus umbringen.

In alten Städten wie Istanbul ist jede Ecke ein Tatort.


Donnerstag, 1. Januar 2015

Postacılar Sokağı


"Rue des Postes" ist eine enge, steile, sehr geschichtsträchtige Straße an der Grand Rue de Pera, an der İstiklal Caddesi. Sie heißt so, weil hier irgendwo das französische Postamt gewesen sein muss. Seit den Kapitulationen des Osmanischen Reiches an Europa bis zu der nationalen Vereinheitlichung des Postwesens war es üblich, dass jeder so sein Postwesen und Rechtswesen trieb.

Diese enge Gasse hat mir viel erzählt.



Private Stadtführungen mit Cicerone










Pera bis Tophane

Pera bis Tophane

In den nächsten Beiträgen möchte ich die "Kurve" von Pera bis Tophane behandeln.