Palazzo di Venezia
Dort, wo die italienische Flagge nicht zu übersehen ist, ist auch der venezianische Palast, ein Gebäudekomplex aus dem ausklingenden 17. Jahrhundert, natürlich mehrfach aus- und umgebaut. Warum denn gerade Venedig? Ganz einfach: Es gab doch noch gar kein Italien. Es gab nur die mittelalterlichen Stadtstaaten (ab 695 n. Chr. entsteht z. B. der Staat Venedig, neben Genua), die in der Neuzeit durch die Herzogtümer abgewechselt waren.Der Überseehandel erforderte kommerzielle und somit politische Vertretungen. Die Idee der ständigen Vertretungen gegenseitig entstand aus diesen Import-/Exportbeziehungen heraus.
Und Venedig hatte hier seinen Bailo, wie der venezianische Gesandte damals hieß. Venezianer hatten weiterhin ihre Sonderrechte, die sie schon im Byzantinischen Reich erhielten. Nach wie vor.
Heute verbergen sich hinter dem Gitter die Residenz des italienischen Botschafters und die Kanzlei des italienischen Konsulates.
Nach Naopleons Sieg über Venedig ging das Anwesen an die Franzosen über. Und als die Österreicher Napoleon platt gemacht hatten, wurde es Eigentum der K.u.K.-Monarchie. Den Ersten Weltkrieg haben Österreich, Deutschland und das Osmanische Reich als Verbündete verloren. Also mussten die Österreicher räumen. Trotz Einwände der Franzosen haben de Italiener das Haus zurückbekommen.
Cäsar geben, was Cäsar gehört!
Etwas weiter unten ist das italienische Gymnasium Liceo Italiano zu sehen, eine Eliteschule wie alle anderen fremdsprachigen Schulen in Istanbul auch. Dass diese Schulen einst sowohl für die eigenen Kinder, als auch als Missionsschulen für die Einheimischen gedacht waren, liegt doch auf der Hand. Man schaue sich nur die örtliche Nähe dieser Institutionen an.
Bekannt ist aber auch, dass die Venezianer überall auch Schulen eröffnet haben, die ihren eigenen Kindern die jeweilige Landessprache beigebracht haben.
Gegenüber steht das Haus Tomtom-Suites, eine der schönsten Wohnmöglichkeiten in Istanbul.
In den 1850ern standen hier hölzerne Reihenhäuser, hauptsächlich bewohnt von Griechen und Levantinern. (Der Begriff "Levantiner" ist ein Kapitel für sich.)
Das kleine Haus nach dem Tomtom-Hotel war höchstwahrscheinlich das von mir viel gesuchte französische Postamt. Man vermutet es zwar weiter oben an der Postacılar-Gasse, weil die Straße ja hier unten anders heißt. Doch die Nähe zur französischen Botschaft ist auch Indiz genug. Möglicherweise kam die Post hier zentral an. Von hier aus sind dann die Postboten auf die Grand Rue de Pera hinaufgeflitzt. Nette Vorstellung. Die müssen ja alles junge Kerle gewesen sein.
Als die ersten Franziskanernonnen in den 1890ern in Istanbul ankamen, wohnten sie möglicherweise in dieser Gegend zuerst in Provisorien, bis der italienische Architeckt Barborini für sie 1901 die Maison des Soeurs Franciscaines, also das Nonnenhaus gebaut hat. Bei den Franziskanerinnen handelte es sich um Krankenschwestern und -pflegerinnen, daher hieß das Haus auch Soeurs Garde-Malades Appartment. Doch so einfach ist die Geschichte nicht. Als Eigentümer tauchen die Glavanis auf. Handelte es sich etwa um Mietwohnungen?
Die selbstlos hilfsbereiten Schwestern kümmerten sich auch um Weisenkinder und um deren Schulbildung. Vor dem 1. Weltkrieg mögen die Franziskanerinnen hier eine St.-Joseph-Schule betrieben haben. Doch hier herrscht noch keine Klarheit, obwohl an einem Haus an der Boğazkesen-Str. Das Schild eines "Orphelinats" eindeutig zu sehen ist.
Die Jahre nach dem "Großen Krieg" war die sonst so kosmopolitisch belebte Gegend fast verlassen und heruntergekommen. Das Haus Tomtom-Suites war bis zur Übernahme des jetzigen Eigentümers ein Archivhaus der Ziraat Bank, der türkischen Raiffeisenbank. Die benachbarten Häuser haben mittlerweile auch Investoren gefunden. So wurden sie zum Leben erweckt.
Die französische Botschaft oben hat viele Ein- und Ausgänge. Aber diesen Platz und diese Straße beherrschen die Italiener eindeutig.
Im Buch: Ort 69
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Private Stadtführungen mit Cicerone
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