Dienstag, 14. Juli 2015

Cicerone Monatsprogramm: Juli

Ramadan in Istanbul


Der islamische Fastenmonat Ramadan (Ramazan) fällt seit fast einer Dekade auf die Sommermonate. Wenn man das gregorianische Kalendersystem als Referenz nimmt, "bewegt" sich das islamische Mondjahr mit seinen 354 Tagen jedes Jahr um 11 Tage nach "vorne". Vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang nichts essen, nichts trinken und nicht rauchen ist das Gebot. Eine große Herausforderung für die Menschen ist nichts zu trinken - gerade an heissen und langen Sommertagen der nördlichen Weltkugel.


Das Fastenbrechen mit dem Sonnenuntergang ist eine sehr ruhige Zeit in der sonst so unruhigen Stadt. Die Straßen sind leergefegt.



Diese Mahlzeit heißt Iftar. Kurz zuvor holen sich die Leute ihr frisches Pide-Brot. Dieses - von mir ungern als Fladenbrot übersetzte - "Ramazan Pidesi" gibt es eben nur im Monat Ramadan. Kurz vor Sonnenuntergang stehen viele Menschen vor Bäckereien deswegen an, und es breitet sich der Duft des frisch gebackenen Brotes. Iftar ist zur Zeit in Istanbul ca. um 20.45 Uhr.

Das Iftar-Essen nach Möglichkeit in Gesellschaft zu sich zu nehmen gilt als besonders fromm. Menschen aus isolierter Einsamkeit herauszuholen und ihnen Geselligkeit zu bieten ist etwas Gutes - insbesondere armen Menschen ohne Angehörige.




Daher veranstalten Kommunen, Firmen, wohlhabende und populäre Personen gemeinsame Iftar-Feste, wie hier in Üsküdar in einem der "Iftar-Zelte". Das hat natürlich heutzutage mit der ursprünglichen Begründung nichts mehr zu tun.


Iftar-Präsidialparty

Seit "Gezi" 2013 üblich: "Erdboden-Iftar" des oppositionellen Volkes. Mit Polizei.






Alte Tradition ist auch der Kanonenschuß, der die Menschen auf die Iftar-Zeit aufmerksam macht. "Ist die Kanone schon abgefeuert?" fragen sich die Einheimischen unterwegs.



Mit der Dämmerung gehen die Lichter an. Imperialmoscheen, also, die von Sultanen oder von Angehörigen der Sultansfamilie gestiftete Moscheen, haben zwischen die Minaretts gespannte Lichterketten, deren Lämpchen immer einen frommen Text ergeben. Imperialmoscheen haben ja mindestens zwei Minaretts.


"Durch Güte lebt der Mensch"



Ein besonderes Ritualgebet im Ramadan ist der "Teravih". Jeden Tag nach dem Nachtgebet (zur Zeit in Istanbul ca. um 22.30 Uhr) finden in den Moscheen diese Gebete statt. Als empfohlen gilt es, die Teravih-Gebete gemeinsam in der Moschee zu verrichten. Über die täglichen Gebetseinheiten wird innerhalb des Monats Ramadan der gesamte Koran melodisch rezitiert, so daß jedem Muslim es möglich ist, den kompletten Koran innerhalb Ramadans zu hören.



Eine Sitte ist es auch, die Teravih-Gebete jeden Abend in einer anderen Moschee zu verrichten. Das dient möglicherweise sozialer Annäherung von Menschen aus anderen Stadtteilen. Es mag sein, daß es früher der Verdauung nach dem Iftar gedient haben mag, als man noch zu Fuß unterwegs war. In automobilen Zeiten sorgt die Sitte eher fürs Verkehrschaos zur späten Stunde in der Stadt.

Vor dem Sonnenaufgang kann man noch mal aufstehen und eine Kleinigkeit essen, um den Hunger tagsüber eher auszuhalten. Diese Mahlzeit heißt Sahur.


Als man keine Schweizeruhren und Wecker kannte, wurde man in den Städten durch Straßentrommler geweckt, damit man diese Mahlzeit nicht verpaßt. Diese verlorengegangengeglaubte Tradition ist wieder wach - und trommelt auch wach. Am Ende des Ramadan klingelt der Stadtteiltrommler - ein Selbsternannter - an den Türen für einen Obulus.

Die praktizierenden Muslime fangen mit einem neuen Fastentag an. Die anderen? Wenn sie nicht mehr schlafen können, setzen sie sich an die Tastatur und verfassen Texte über "Ramadan in Istanbul".  

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